Die Ewigen by Caparros Martin

Die Ewigen by Caparros Martin

Autor:Caparros, Martin
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2014-03-28T00:00:00+00:00


3

Ich dachte darüber nach, wie ich Titina die Wahrheit beibringen sollte: Nein, mein Vater ist kein Verschwundener, er hat nichts getan, man hat ihm nichts getan. Nur ein feister Idiot, der vom Radio abgelenkt war: Nichts, eine Geschichte um nichts, ich bin ein anderer, nur das. Vielleicht, dachte ich später, hatte ich Titina deshalb nicht aufgesucht: Falsch.

Es dauerte eine Weile, bis ich mir eine Rache zurechtgelegt hatte. Ich war intelligent – nicht mehr so wie als Kind: Den vermeintlich intelligenten Kindern merkt man ihre vermeintliche Intelligenz an, weil sie Dinge tun, die andere Kinder nicht tun; doch die Jugendlichen oder jungen Leute oder wie auch immer man diese namenlose Etappe des Lebens bezeichnet, machen alle mehr oder weniger dasselbe, so dass ihre Intelligenz oder Dummheit überdeckt wird. Ich war weniger intelligent als früher, als kleines Kind, aber ich war immer noch intelligent und in der Lage, mir einen Plan auszudenken, nur dass mein Plan diesmal fehlgeschlagen war. Ich hatte wissen wollen, wie und warum, ich hatte mir ein Bild machen wollen, um den Tod meines Vaters erinnern und erzählen zu können, und was hatte ich bekommen? Einen fetten, sauber rasierten, schlecht frisierten Mann im Sessel eines cremefarbenen Wohnzimmers in San Telmo. Ich hatte ihn in die Enge treiben, ihm Angst machen wollen, bis er mit der Sprache rausrückte, ich hatte ihn zwingen wollen, zu Kreuze zu kriechen, den Augenblick zu bedauern, in dem er zum Mörder wurde – aber mein Plan war nicht aufgegangen; Señor Alberto Raggio hatte mich benutzt, um seine Wunden zu lecken und die Absolution zu bekommen. Er hatte versucht, mich zu überzeugen, wie er damals die Polizei überzeugt hatte. Doch ich war nicht so blöd wie die Polizei.

Ich hatte das Haus auf der Suche nach einer Geschichte betreten und ich verließ es auf der Suche nach Rache. Das sind zwei verschiedene Dinge – obwohl: so sehr auch wieder nicht.

Ich brauchte einen Plan, der funktionierte. Hätte ich besser darüber nachgedacht – wäre ich damals imstande gewesen, besser nachzudenken –, hätte ich begriffen, dass es mir eigentlich gar nicht wirklich um Rache ging; auf Rache sinnen die, die sich mit etwas Geschehenem nicht abfinden können, oder besser gesagt, die sich nicht damit abfinden können, dass das Geschehene für den Täter keine unvorhergesehenen Folgen gehabt hat – eine perfekte Tat, bei der der Täter absolut alles unter Kontrolle hat, so dass er wie ein Gott erscheint –, die glauben, das Gleichgewicht der Welt – oder ihres winzigen Teils von der Welt – sei wegen einer Tat aus den Fugen geraten und es könne nur durch eine Retourkutsche wiederhergestellt werden: Rache setzt den Glauben an eine universelle Harmonie voraus, der mir vollkommen abging.

Jetzt weiß ich, dass mein Ziel weit bescheidener war – oder weniger bescheiden –: Ich wollte kein kosmisches Gleichgewicht wiederherstellen, sondern die Macht haben, über die Geschichte zu bestimmen. Wenn mein Vater oder mein Alter so vollständig aus meinem Leben verschwunden war, dass mir von ihm einzig und allein eine Geschichte blieb, die es zu erschaffen galt, dann musste ich auch derjenige sein, der das übernahm.



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